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2022/09/29

Husten - Clubbühne E-Werk Erlangen (29.09.2022)

"Wir wissen es sehr zu schätzen, dass ihr heute Abend gekommen seid. Das ist nicht selbstverständlich in den heutigen Zeiten." 

Punkt. Aus. Ende. Dies könnte mein kürzester Konzertbericht sein. Leben meine Zeilen doch so oft von den Ansagen der Künstler:innen. Gisbert ist damit eher zurückhaltend. Dennoch: In der oben zitierten Aussage steckt so viel. Und darüber müssen wir reden. 

Doch kurz zurück zum Konzert. Vor ziemlich genau einem Monat wurde ich mit den Konzerttickets überrascht. Uff. Clubbühne. Mitten in der Pandemie. Ich war unsicher, ob ich mich dazu wirklich schon bereit fühlte. 

Gleichzeitig war ich neugierig auf das Musikprojekt Husten hinter dem Gisbert zu Knyphausen, Tobias Friedrich und Moses Schneider stecken. Hier und da hatte ich ein paar Songs gehört, doch nicht so intensiv als dass meine Ambitionen, allein auf das Konzert zu gehen, groß genug gewesen wären. 

Manchmal muss man mich wohl zu meinem Glück zwingen. Denn das was ich erlebte war mehr als eine Bestätigung dafür, dass es sich immer lohnt, wenn Gisbert zu Knyphausen die Bühne betritt. Noch dazu mit großartigen Bandmitgliedern, die man doch irgendwie schon alle mal gesehen hat, z. B. Schlagzeuger Ben Lauber zuletzt im Sommer 2021 mit Olli Schulz. 

Sechs Musiker, denen man wieder mal ansieht, wie viel Bock sie haben endlich wieder vor Publikum spielen zu dürfen - auch wenn es grad mal um die 50 Menschen sind. Es machte so viel Spaß, Gisbert auf der Bühne lachen und tanzen zu sehen. Irgendwie so ganz anders als ich ihn vor ein paar Jahren wahrnahm. 

Meine Begleitung fasste die Musik und damit das Konzert ziemlich treffend zusammen: "Sie sind abwechslungsreich und kreieren Sound." So wechselten sich Lieder, in denen vor allem Gisberts unverwechselbare Stimme in den Vordergrund trat mit solchen, in denen das außergewöhnliche Zusammenspiel der Instrumente herausstach. 

Und so soll dieser Konzertbericht eine kleine Liebeserklärung an die Livemusik sein. Weil Gisbert zusammen mit seiner Band Husten und allen weiteren Mitwirkenden auf der Bühne etwas schafft, was wir so lange vermisst haben, und was kein Streamingdienst der Welt in dieser Intensität vermitteln kann. 

In den letzten Wochen haben verschiedene Kunstschaffende darauf aufmerksam gemacht, wie schwer es ist die Veranstaltungen zuverlässig planen zu können. So musste Husten drei Termine ersatzlos streichen. Auch das Konzert von Cäthe findet im November nicht in Nürnberg statt. Ihr Statement: 

"Es war nicht abzusehen, wie lang uns die Pandemie noch begleiten wird. Doch sie ist präsenter denn je. Wir verkaufen nur wenige Tickets für den Herbst und Winter.

Es geht vielen hinter den Kulissen wirtschaftlich gesehen ausgesprochen mies. Dazu schwindet auch mehr und mehr das Selbstwertgefühl. Weil es schon was macht mit uns, wenn auf einmal keiner mehr auf die Konzerte kommt.

Wir können nicht mehr so tun, als wäre die momentane Lage eine Ausnahmesituation, durch die wir mit Liebe und Geduld schon durch schlittern werden. Die Ausnahmesituation ist Realität geworden. Und zwar eine traurige, die vielen Musikfans da draußen vielleicht nicht wirklich in diesem Ausmaß bewusst ist."

Deshalb lautet die klare Bitte des E-Werks:

"Kommt auf Konzerte! Kommt wieder zurück, seid neugierig auf junge, neue Künstler:innen, lasst Euch diese einmaligen Live-Momente von Musik nicht entgehen... Lasst uns über die Konzerte sprechen, die wir erlebt haben und über die, die kommen." 

Und Sarah Lesch spricht mir wie so oft besonders aus der Seele, weil sie diesen Zwiespalt zwischen Vorsicht und Zuversicht beschreibt:

"Ich habe viel gehadert, geschoben, gebibbert, Zahlen gedreht und Nachrichten verfolgt und gehofft und am Ende dem Wahnsinn getrotzt und auf all die Zahlen gepfiffen und beschlossen, dass es wichtiger und schöner denn je ist, wenn wir uns alle diesen Herbst und Winter ganz in echt sehen können. Musik teilen, abtauchen, lachen, leicht sein und uns warm halten von innen. [...] Auch, wenn es absurd scheint aber es ist vielleicht genau das Richtige für genau diese Zeit: Lasst uns das Leben und die Liebe feiern!"

Oder um es mit den Worten von Husten abzuschließen:

"Ja, du hast so viel Lust und ich hab nur Schiss. 
Du sagst: Ab ins Ungewiss.
Doch was soll ich nur tun, ich weiß ja nicht, wo das ist. [...] 
Hey, das Schöne dran ist, man weiß ja nicht, wo das ist."

Und jetzt alle: 

"Ist doch immer so. Ist doch immer so. Ist doch immer immer immer so." 

Punkt. Aus. Ende. 

2021/07/27

Phela & Strings - Kontor Erfurt (12.07.2021)

"Ein wenig fühlt es sich grad an als hätte man mitten in das Jahr Silvester eingebaut. Dabei ist es wohl der Schluss einer sehr, sehr langen herbeigesehnten Sendepause." (Maline aus Phelas Streichquartett)

Am 12. Juli 2021 war es soweit. Mein erstes richtiges Konzert seit Ende August. Nachdem ich im Januar 2020 bereits mit meinen Kindern zum Familiär Konzert nach Berlin reiste, war für mich relativ klar: Diese Künstlerin live zu erleben ist die Reise wert - selbst wenn sie nur eine Stunde spielt. Zumal Erfurt eben auch eine Stadt ist, in der mein Genießerherz kulinarisch voll auf seine Kosten kommt. Dass eine Freundin von früher sofort dafür zu begeistern war, ließ mich nicht lange zögern und sofort ein Ticket für diese seltene Gelegenheit buchen.

Entsprechend der Hinweise auf der Website des Veranstalters buchten wir uns für Montag früh noch einen Termin im Schnelltestzentrum, da der Zutritt zum Konzert nur für Genesene, Geimpfte und Getestete ausgewiesen war. Etwas ernüchtert war ich dann als wir am Abend im Kontor ankamen, und niemand sich für den negativen Testnachweis interessierte. Und... das Konzert innen stattfand.

Tatsächlich hatten sich die Bestimmung zum 01.07.2021 in Thüringen geändert - was auf der Website jedoch nicht aktualisiert wurde. Auch war die Veranstaltung von Vornherein drinnen geplant gewesen. Nur in meinem Kopf hatte ich Phela von Anfang an draußen auf der Bühne spielen sehen. Denn als das Konzert im Juni angekündigt wurde, waren gerade mal die Biergärten frisch eröffnet wurden, und für mich an ein Sommerkonzert im Innenraum nicht zu denken. 

Nun gut. Ich gebe zu, dass ich mich dadurch weniger hab fallen lassen können, wie es unter freiem Himmel gewesen wäre. Nichtsdestotrotz konnte die Musik wieder mal überzeugen. Phelas Lieder, ihre Stimme, und dann noch diese wundervolle Kombination mit ihrem Streichquartett. Wow! 

Phela machte keinen Hehl daraus, wie unglaublich es für sie ist nach so langer Zeit wieder auf der Bühne zu stehen. Und auch mir ging es noch am nächsten Tag in Fürth so wie ihr nach dem ersten Lied: "Ich kann noch gar nicht glauben, dass das hier alles echt ist."

Auf viele weitere wundervolle Konzerte mit dieser herausragenden Künstlerin und ihrem Streichquartett, das ihr in nichts nachsteht. Gern auch wieder mit Kindern, denn mein Sohn - bekennender Pippi Langstrumpf Fan - hüpfte am nächsten Tag auch schon wieder mit seinem "Heute Nacht ist dieses Lied mein Zuhause, mein Zuhause"-Ohrwurm durch das Treppenhaus.

2021/06/29

Thees Uhlmann - Kulturinsel Wöhrmühle (31.08.2020)

10 Monate sind seit meinem letzten Konzert vergangen. Weiterhin lässt uns die Pandemie Hoffen und Bangen. Zwischen Vorfreude auf einen (coronakonformen) Konzertsommer und der Angst vor der vierten Welle. Ich weiß nicht, was uns noch erwartet, doch ich kann auf ein unvergessliches Konzert im vergangenen Sommer zurückblicken:

Was für ein Abend! Am Nachmittag hörte ich mich noch sagen: "Ich fühle mich heute gar nicht nach Konzert." Ein Glück, dass ich mich dennoch in den Zug nach Erlangen setzte. Schon auf dem Weg zum Konzert begann mein Herz zu hüpfen als ich mir vorstellte in wenigen Minuten endlich wieder Thees auf der Bühne zu lauschen. Dabei war mir nicht klar, dass er meine Erwartungen an seine "Songs & Stories" Tour sogar noch übertreffen würde.

Während wir bei Sarah Lesch drei Wochen zuvor noch freie Platzwahl hatten, wurden am Einlass diesmal die Plätze zugewiesen. Auf Nachfrage ist diese Vorgehensweise ab 200 Leuten vorgeschrieben. Ich muss gestehen, dass ich Gefallen an diesen Regelungen finde - eine Entscheidung weniger, die von mir zu treffen ist. Zwar war mein Platz von einer Gruppe belegt, ich konnte jedoch unkompliziert tauschen und war mit meinem Platz am äußersten Rand der Reihe 10 sehr zufrieden.

Um 19:45 Uhr trat Thees dann auf die Bühne und begann sich zu bedanken. Zum einen dankte er den Organisatoren, die sich in diesen besonderen Zeiten dazu entschlossen hatten, das Mini PopUp Open Air auf die Beine zu stellen, und die sagen: "Hier sind die Regeln und wir machen jetzt wieder Kunst und Kultur." Zum anderen dankte er dem aufrichtigen Publikum, das diese Regeln in Kauf nahm. 

Alles was danach kam, lässt sich nur schwer in Worte fassen, kurz:

"Beim gestrigen Abend mit Thees fühlte ich mich direkt 10 Jahre jünger, dabei war ich keine 48 Stunden unterwegs, sang die ganze Zeit von dir und im Radio kam ein Liebeslied. Das ist dann wohl die Schönheit der Chance, dass wir unser Leben lieben so spät es auch ist." (@_herzklangbar)

In der Annahme, er würde vor allem aus seinem aktuellen Buch über Die Toten Hosen lesen, war ich seelig als er einen Song nach dem anderen spielte. Doch auch, wenn er nur erzählte, z. B. vom Spotify Tennis mit seiner Tochter, war der Unterhaltungsfaktor wie immer hoch. Als Grund, warum er entgegen der Angabe auf dem Konzertticket nicht las, gab er an: "Ich kann nicht mehr vorlesen. Ich habe alles erreicht was man in Deutschland erreichen kann." (Stichwort: Kirche Hemmoor)

"Wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir spielen", kommentierte er die Musikwünsche, die vorab über soziale Netzwerke eingegangen waren. Dabei spielte er Songs, die mich wunschlos glücklich machten und in vergangene Zeiten zurückversetzten, z. B. auf die Trabrennbahn Bahrenfeld zum 10. Jubiläum vom Grand Hotel Van Cleef, u. a. mit Tomte und der Hansen Band.

Thees riss sein Publikum mit, coverte für den einzigen Mitmachteil des Abends Marteria und bat die Hände nach oben zu nehmen, denn: "An den Händen ist kein Corona." Neben Nightliner Stories, Erzählungen von Fernsehkäufen in Erlangen, Anekdoten zu Dynamo Dresden, Irish Pub Besuchen und der Schnullerentwöhnung bis halb vier in der Nacht ("Ich quengel auch, wenn kein Bier da ist.") konnte sich Thees auch ein paar regionale Seitenhiebe nicht verkneifen, wie "Dunkle Seiten erkennen und monetarisieren - der Spruch ist von Siemens gesponsort." Oder: "Normalerweise - wenn wir hier gespielt haben, haben sich die Leute aus Nürnberg und Fürth gekloppt (...) So geil wie Braunschweig gegen Hannover werdet ihr eh nie sein!"

Auch wenn ich trotz fehlender Begleitung ("Hab auch keine Freunde.") keinen lebenslangen Gästelistenplatz angeboten bekam, hat mich der Typ, der Rockmusik mit deutschen Texten macht, und als deutschsprachiger Sänger am häufigsten in Erlangen aufgetreten ist, in diesen komischen Zeiten menschlich ("Ich rauche, weil ich aufgeregt bin in aufregenden Zeiten. Morgen höre ich auf, aber heute nicht.") wie musikalisch wieder vollends überzeugt.

"Angela, zieh noch 4 Jahre durch", sagte er als Punk auf der Bühne. Ende August 2020 hätte ich ihm voll zugestimmt. Heute weiß ich, dass Deutschland einen Wechsel braucht, und die Kinder nicht weiter die Leidtragenden der Pandemie sein dürfen, nur weil sie keine Lobby haben. (Ja, in diesen Zeiten kann ich auch beim Schreiben eines Konzertberichtes nicht nicht politisch sein.)

2020/08/29

Sarah Lesch - Kulturinsel Wöhrmühle (12.08.2020)

Bereits zweieinhalb Wochen sind seit dem ersten Mini Popup Open Air Konzert auf der Kulturinsel Wöhrmühle in Erlangen vergangen. Sarah Lesch eröffnete diese Konzertreihe mit maximal 200 Besucher*innen pro Abend und mit - der aktuellen Situation entsprechendem - Abstands- und Hygienekonzept. Bereits am 5. April 2018 durfte ich diese Ausnahmekünstlerin live im MUZclub Nürnberg erleben. Während der Entwurf dieses Konzertberichts noch immer unveröffentlicht bei mir schlummert, möchte ich nicht erneut so viel Zeit verstreichen lassen, um dieses herausragende Konzerterlebnis in einer besonderen Zeit Revue passieren zu lassen.

"Man wartet auf all diese großen Momente. Und dann geh'n die einfach vorbei."

Schon 2018 wusste ich nicht, wie ich ihr Konzert in Worte fassen sollte. Um es kurz auf den Punkt zu bringen: Diese Frau zauberte mir durchgehend ein Lächeln auf die Lippen - mit ihren Liedern und ihren Geschichten drum herum. Denke ich an Sarah Lesch, dann an eine Poetin, der ich stundenlang zuhören könnte, ob sie singt oder einfach nur erzählt. Die Klarheit in ihrer Sprache wie in der Akustik beeindruckten mich auch an diesem Sommerabend an der Kulturinsel Wöhrmühle.  

Und weil Konzerte in den letzten Monaten doch eher rar und wenn dann meist nur als Stream verfügbar waren, möchte ich diese Zeilen auch dafür nutzen, um die hervorragende Organisation zu loben. Die Mundschutzpflicht galt auf dem gesamten Gelände, außer am Platz. Ein Getränkewagen stand bereit - für das leibliche Wohl sorgte die Leichtsinnsküche mit lecker belegten Langos, die Dixi Klos waren sauber, Hände waschen und Desinfektionsmittel standen zur Verfügung. Die Reihenbestuhlung garantierte die Einhaltung des vorgegebenen Mindestabstands. Optimale Voraussetzungen, die von der Stadt Erlangen und dem E-Werk geschaffen wurden, um "Künstler*innen zu unterstützen, ihnen wieder die Möglichkeit zu geben, live aufzutreten, den Sommer wieder ein Stück weit zum Klingen zu bringen."

Die ein oder andere Spitze konnte sich Sarah Lesch nicht verkneifen, indem sie zum Beispiel darauf hinwies nur mit den Sitznachbarn aus dem eigenen Haushalt zu knutschen oder als sie ein Bandmitglied zunächst wegen Halsschmerzen entschuldigte - obwohl seine Abstinenz den Rückenbeschwerden geschuldet war. Besonders bezeichnend für die besondere Zeit, in der wir uns momentan befinden, fand ich den anschließenden Spruch ihrer Gitarrenbegleitung Erik Manouz: "Wir spielen für Drei, und ihr klatscht für 2000." Es schien als würden ihn alle beim Wort nehmen: Als Duo ließen sie kaum Wünsche offen - und auch im Publikum kam richtig gute Stimmung auf.

"Wir brauchen nichts gerade höchstens ein bisschen Leichtsinn und Mut. 

Der Rest wird von alleine gut."

Nach etwas mehr als 1,5 Stunden war dieses wunderbare Erlebnis leider schon vorbei, eine weitere Zugabe aufgrund der Bestimmungen nicht möglich. Nachdem durch Corona bereits ein paar Highlights in diesem Sommer auf 2021 verschoben wurden, bin ich wirklich dankbar dabei gewesen zu sein. Es hat so viel Spaß gemacht und trotz Abstandsregeln gelang Sarah Lesch von der Bühne aus ein unbeschreiblich stimmungsvolles Miteinander. Allein durch ihre Präsenz und Ausstrahlung versprüht sie so viel Lebensfreude. Da kann man nur hoffen, dass all die talentierten Künstler*innen gut durch diese Krise kommen, um uns auch in Zukunft mit ihrer Musik zu erfreuen.

2020/07/25

Kettcar - Staatstheater Braunschweig (25.01.2020)

Kettcar. Eine Liebe, die unter Garantie nie zu Ende geht. Auch wenn nun wieder eine längere Pause kommt. Hannover, Hildesheim, Bielefeld, Hamburg, Eltville, Nürnberg, Dortmund, Erlangen. Oft habe ich Marcus Wiebusch mit Kettcar oder solo schon live erleben dürfen. Und jedes Konzert war für sich stets etwas Besonderes.

Kann man das bereits Erlebte noch toppen? Ja, man kann. Und wie? Indem man diese wunderbare deutsche Indie-Rock Band in einer ganz ungewohnten Umgebung auftreten lässt. Das Staatstheater Braunschweig scheint Erfahrung mit solchen Experimenten zu haben, standen dort im vergangenen Jahr bereits Tocotronic auf der Bühne.

Kurz nach Bekanntgabe der Termine für die "... und das geht so"-Tour zum gleichnamigen Live-Album hatte mein Mann mir bereits ein Ticket für Nürnberg als Weihnachtsgeschenk besorgt. Als dann später der Termin im Staatstheater Braunschweig ergänzt wurde, kam es zu einer Kurzschlusshandlung meinerseits: Ich sicherte mir zwei personalisierte Sitzplätze für mich und meinen Sohn. Ohne Rücksprache mit meinem Mann. Ohne zu wissen, ob ich meinen Sohn für die Musik begeistern könnte. Doch für mich stand fest: ICH WILL DA HIN!

Selbstverständlich hatte ich vorab den Spielplan des FSV Zwickau geprüft. Das Auswärtsspiel sollte in Magdeburg stattfinden, sodass mein Plan fast perfekt schien. Im nächsten Schritt konnte ich meinen Mann überzeugen, für einen Abend beide Kinder zu übernehmen, sodass ich Flockes Plattenkiste als Begleitung gewinnen konnte. Und schließlich war auch das Ticket für Nürnberg bald verkauft: Durch das Tragen von Shirts sympathischer Bands hatte sich im Laufe des Kindergartenjahres ein würdiger Abnehmer herauskristallisiert.

Dann war es soweit. 25. Januar 2020. Ein besonderer Abend stand uns bevor. Pünktlich traten die Intendanten auf die Bühne, um das heutige Gastspiel anzukündigen. Ganz wehmütig wurde ich als die 6-Jährige Greta als jüngster Kettcar Fan im Saal vorgestellt wurde. Ab und zu versuchte ich einen Blick zu ihr zu erhaschen und stellte mir vor, wie mein Sohn das Konzert wohl wahrgenommen hätte. Doch machen wir uns nichts vor: Es ist ein riesiger Unterschied, ob man von der Mama mitgeschleppt wird, oder aus eigener Motivation und mit vollem Herzen dabei ist.

Wie mein Herz wieder hüpfte als ein leises Klavierspiel begann und die Band unter tosendem Applaus auf die Bühne kam. Schließlich setzte eine bekannte Melodie ein und Kettcar begannen das Konzert mit "Volle Distanz". Diese Emotionen von Anfang bis Ende des Konzerts lassen sich schwer beschreiben - wer Gefallen an der Musik von Kettcar findet, muss sie einfach live erleben.

Früher tippte ich Notizen während des Konzerts ins Handy, aus denen später die Konzertberichte entstanden sind. Inzwischen bin ich dazu übergegangen, einige Sequenzen zu filmen - sofern ich dabei niemandem die Sicht versperre. Wie dankbar bin ich heute - sechs Monate später - für diese Aufnahmen. Beinahe hätte ich vergessen, welche außergewöhnliche Akustik und Stimmung im Saal herrschte. Ich schaue die Videos und es ist als würde ich das Konzert nochmal erleben.

Sechs Monate später ist die Welt eine andere als damals am 25. Januar 2020 im ausverkauften Staatstheater Braunschweig. Die Texte von Kettcar repräsentieren meinen Blick auf das Geschehen um mich herum so gut, dass ich mich entschieden habe, in diesen Bericht verstärkt Zitate einzubauen. So viele Themen, die mich in der heutigen Zeit beschäftigen: Solidarität, Rassismus, Gleichstellung - auf dass unsere Kinder sich eines Tages in einer besseren Welt wiederfinden, in der die Liebe stärker ist als der Hass: "Es wird der Tag sein, an dem wir die Liebe, die Freiheit und das Leben feiern. Jeder liebt den, den er will und der Rest bleibt still. Ein Tag, als hätte man gewonnen. Dieser Tag wird kommen." 

Wie das alles funktionieren soll, weiß ich nicht, muss ich auch nicht. Ich gebe einfach das Beste, was ich kann, denn:
"Keine einfache Lösung haben, ist keine Schwäche.
Die komplexe Welt anerkennen, keine Schwäche.
Und einfach mal die Fresse halten, ist keine Schwäche. 
Nicht zu allem eine Meinung haben, ist keine Schwäche.
Ich erklär' meinen Kindern, was ein guter Mensch ist. 
Mit Sätzen, die heutzutage sonderbar klingen.
Denk' an meinen Vater, hoff', dass ich besser bin.
Erhäufe mein Herz im täglichen Ringen."
Auch wenn ich Graceland an diesem Abend vermisste, präsentierten Kettcar in gut zwei Stunden eine gelungene Mischung aus ihrer 18-jährigen Bandgeschichte. Auf dieser Tour wurden sie von einem Bläser Trio begleitet - das passte wunderbar zu dem Ambiente im Staatstheater und verlieh einigen Songs noch mehr Ausdruck. Wie gewohnt waren die Ansagen von Reimer Bustorff mit viel norddeutschen Humor gespickt - auch die Fehde zwischen Braunschweig und Hannover ließ er nicht aus, und bedankte sich, dass die Hannoveraner den weiten Weg auf sich genommen hatten.

Lange schien das sehr gemischte Publikum eher verhalten "auf den (alles andere als) billigen Plätzen" zu verharren. Doch spätestens als Wiebusch für seinen Song "Der Tag wird kommen" zum sexy dancing aufrief, war das Eis gebrochen und vor allem vor der Bühne konnte man eine immer ausgelassenere Stimmung beobachten. Auf dem Rang sprang das Publikum bei "Landungsbrücken raus" von ihren Plätzen als hätte man einen Knopf gedrückt. Unvergesslich! In so einem schicken Ambiente mit Sitzplätzen wie im Staatstheater fällt das gleich noch mal mehr auf.

Am Schluss dann Marcus Wiebusch allein im Scheinwerferlicht "Braunschweig. Wenn wir uns länger nicht mehr sehen, vergesst uns nicht." Standing Ovation als er die ersten Töne vom 2002 erschienenen "Das Skateboard kriegt man Zahnarzt" auf der Akustikgitarre spielte. Nach und nach kam der Rest der Band auf die Bühne - was für ein Finale! Danke, Kettcar. "Badadadadada..."

"Wir wussten von Anfang an
Dort, wo alles begann
Wir sind am Ende allein
Aber alles muss sich reimen
Alles muss sich reimen."


Die Frage, ob ich wieder ein Kettcar Konzert besuchen würde, beantworte ich ohne zu Zögern mit: Logisch! Zumal die Aussicht von Marcus Wiebusch sehr vielversprechend klingt: "Wenn wir zurück kommen, werden wir ICH VS. WIR toppen." Ich freue mich drauf - lasst euch Zeit, vielleicht habe ich meine Kinder bis dahin zu kleinen Kettcar Fans herangezogen.